Ingo Frost Sofia, den 15.03.04 Bramscher Str. 62 49088 Osnabrück Matr.Nr. 874029 Angw. Systemwiss.: 9. Fachsemester Der Konsolidierungsprozess der Demokratie in Bulgarien in vergleichender Perspektive mit anderen Ländern Osteuropas Hausarbeit zur Veranstaltung "Einführung in die Regierungssysteme ausgewählter EU-Mitgliedstaaten" (SS 2003) bei Prof. Dr. Ralf Kleinfeld an der Universität Osnabrück Inhaltsverzeichnis Demokratie 4 Klassische Demokratiedefinitionen 4 Erweiterte Demokratiedefinition 5 Bulgarien und Demokratie 7 Eliten 8 Kontinuitäten und Diskontinuitäten 8 Szenarien 9 Bewertung 9 Osteuropa im Umbruch 11 Ungarn, Polen und die tschechische Republik 11 Bulgarien und Slowakei 12 Rumänien und die Ukraine 13 Bulgarien 15 Entwicklung der Elite im Rückblick 15 Erziehung zur Unselbständigkeit 17 Schlussfolgerungen 17 Quellen 19 Vorwort Diese Arbeit entstand während meines Auslandssemesteraufenthalts in Bulgarien an der Neuen Bulgarischen Universität. Anregungen und Materialien stammen von Frau Katya Hristova-Valcheva (FB Politik) und beinhalten Kapitel aus den Büchern Postcommunist Elites and Democracy in Eastern Europe (Higley / Pakulski / Wesolowski: 1998a) sowie Elites and Democratic Consolidation in Latin America and Sourthern Europe (Higley / Gunther: 1992). Beide dieser Hauptquellen sind nicht aktuell und so konzentriere ich mich bei Betrachtung der Eliten auf die Jahre der Wende, werde jedoch die Sichtweise der Eliten in eine breitere Demokratieauffassung einbetten und mit meinem Demokratieverständnis verankern. Die Tatsache, dass ich mich in Bulgarien befinde während ich diese Arbeit schreibe und dort mit vielen Menschen verschiedener Generationen über Politik diskutiert und selbst in dieser Gesellschaft gelebt habe, beeinflussen diese Arbeit nachhaltig und erlauben mir eine kritische gesellschaftliche Demokratieposition einzunehmen. Dank geht dabei insbesondere an Simona Dimitrova und die angenehm fruchtbaren Diskussionen, ohne die die Argumentationslinie kein breites Fundament erhalten hätte. Großen Einfluss hat auch mein einjähriger Aufenthalt in Namibia (1998) gehabt - durch beide Länder hat sich meine Auffassung zur Demokratie stark erweitert. Durch meinen interdisziplinären Zugang zur Politikwissenschaft (ich studiere zur Zeit Kognitionswissenschaft: Ba.S. und Angewandte Systemwissenschaft mit Anwendungsfach Soziologie, Dipl. ) fehlt mir auf der einen Seite ein breites politisches Grundwissen, auf der anderen Seite stehen mir einige Methoden aus anderen Wissenschaften zur Verfügung die ich übertragen und anwenden kann. Optisch schlägt sich das durch die Abbildungen über Machtstrukturen und Dimensionen zur Bewertung von Eliten nieder, inhaltlich durch die Betrachtung von Struktur und Entwicklung komplexer Systeme und Zusammenhänge. Eine aktuelle Version dieser Arbeit, die entsprechend mit anderen Webseiten verlinkt ist, befindet sich auf meiner Homepage1. Sofia, den 15.03.04 Ingo Frost Demokratie Am Anfang dieser Arbeit steht ein Versuch einer Demokratiedefinition, jedoch nicht aus Gründen der ausschweifenden Vollständigkeit, sondern vielmehr deshalb, weil das Verständnis von Demokratie anders als aus einer Prozeduralen Definition heraus betrachtet werden sollte, um den Konsolidierungsprozess zu verstehen: Gerade dieser Unterschied ist ausschlaggebend und hilft zu analysieren, was zu einem demokratischen Land gehört und wo sich die Grenzen zu einem postkommunistischen Regime oder einer Scheindemokratie auftun. Klassische Demokratiedefinitionen Nach Robert Dahl (1971) bedeutet Demokratie, dass das politische Regime frei und offen gewählt wird und dabei nur geringe Hindernisse zur Partizipation und politischer Konkurrenz vorliegen und die Zivilrechte geschützt werden. Dabei muss durch Versammlungsfreiheit, freien Informationsfluss und freie Kommunikation die politische Meinungsbildung stattfinden können und niemand darf gehindert werden seine politischen Präferenzen zum Ausdruck zu bringen oder ausgeschlossen werden. Es handelt sich hier um die Beschreibung des Idealtyps, dem wohl keine Demokratie vollständig gerecht werden kann. Entscheidend ist, dass diese Kriterien annähernd eingehalten werden, damit von einem demokratischen Regime gesprochen werden kann (vgl. Burton / Gunther / Higley 1992: 1-3). Durch diese Definition werden Charakteristika eines demokratischen Regimes beschrieben, also eine Art Makrodefinition. Sie klingt als reichte es, diese juristischen und institutionellen Voraussetzungen in einem beliebigen Land umzusetzen, um dann von einer Demokratie sprechen zu können. Diese Definition macht keine Aussagen über die Gesellschaft, also das Volk von dem die Macht ausgehen soll2 und beschreibt nur die Prozeduren in einer Demokratie und scheint wie der Versuch, ein Artefakt durch seine einzelnen äußerlich sichtbaren Teile definieren zu wollen. Artefakte an sich haben jedoch etwas holistisches und sind nicht kompositional, sondern haben eine tiefere Bedeutung, die sich z.B. durch die soziale Interaktion beschreiben lässt und sich auf verschiedene Weise und durch unterschiedliche Prozesse zeigt. Wenn sich die Demokratie also in vielen Ländern durch freie Wahlen und politischer Konkurrenz zeigt, dann ist das ein Phänomen das oft in Demokratien erscheint, nicht jedoch eine Definition seiner selben. Zu diesen Phänomenen kommt noch ein Pluralismus verkörpert durch die Konkurrenz verschiedener Parteien, eine strenge Gewaltenteilung und die Sicherstellung der Menschenrechte hinzu. All das funktioniert meiner Meinung nach nur wenn ein gewisses Bildungsniveau der Masse vorhanden und eine medielle Infrastruktur vorliegt, sodass die freie Presse bis zu dem einzelnen hervordringen kann. Erweiterte Demokratiedefinition Ich möchte versuchen die Ideen und den Geist zu beschreiben, die in einem Volk herrschen müssen, bevor man von einer Demokratie im Sinne einer demokratischen Gesellschaft sprechen kann. Auf keinen Fall kann man dabei auf Dahls Definition verzichten, mein Vorschlag soll ergänzend ein Demokratieverständnis von Innen und Außen ermöglichen. Warum ist dies nötig? Ich denke, dass viele Kennzeichen (z. B. freie Wahlen), die man in Demokratien beobachten kann, selbstverständlich sind wenn gewisse Auffassungen im Volk herrschen, also eher von sekundärer Natur sind. Ein Blick in die Geschichte und in die Tagespolitik3 zeigt, dass viele Menschen und leider auch Politiker davon überzeugt sind, dass es reiche, einem Land diese Kennzeichen zu geben, um so eine funktionierende Demokratie zu schaffen. Dabei geht es nicht nur darum, ob Reformen vom Volk oder von nicht legitimierten Machthabern aus durchgesetzt werden, sondern um die Grundideen, die im Volk herrschen. Was bedeutet Massenpartizipation für eine Demokratie? Politisches Geschehen zu verfolgen und gegebenenfalls durch eine Wahl die Machtverhältnisse zu ändern? Oder ist Demokratie nicht vielmehr eine Lebensphilosophie, deren Nährboden die Rechte und Freiheiten des Einzelnen (zusammen mit durch den Staat garantierten Frieden und Sicherheit) sind, und durch Handeln aus Vernunft und Eigenverantwortlichkeit heraus selbstregulierende soziale Strukturen (z.B. Vereine, Orgnaisationen, Gemeinschaften oder Parteien) heranwachsen lässt? In diesem Fall wäre der Gang zur Wahlurne nur eine von vielen möglichen Arten der Partizipation4. Das Aufkommen von sich selbstregulierenden sozialen Strukturen muss durch das Rechtssystem garantiert werden (z.B. durch Versammlungsfreiheit) und gleichzeitig beschränkt werden (z.B. durch den Verfassungsschutz). Dies sind Strukturen, die durch Selbsthilfe entstehen, also durch Menschen die ein gemeinsames Bedürfnis empfinden oder Ziel haben und sich zusammenschließen und so das Problem ohne die Hilfe und Initiative vom Staat selbst angehen und die Bedürfnisse befriedigen. Wichtige solcher Strukturen sind zum Beispiel kulturelle Vereine, Sportvereine, Wohltätigkeitsorganisationen etc.5 Sie sind alle nichtstaatlich, zwar manchmal durch den Staat gefördert und als gemeinnützig anerkannt, aber unabhängig. Bulgarien und Demokratie In Bulgarien ist der Alltag leider oft anders gekennzeichnet. Hier die "Marschrutkaepisode" als Analogie zur mangelnden Massenpartizipation. "Da die öffentlichen Verkehrsmittel in Sofia nur recht miserabel funktionieren und offenbar nicht verbessert sondern nur verteuert werden, benutzen viele Sofianer die Marschrutka. Das ist eine private Verkehrsgesellschaft6, die mit Kleinbussen auf festgelegten Strecken (Marschrouten) durch die Stadt fahren und in die man jederzeit ein- und aussteigen kann. Marschrutkafahrer sind wegen ihres Fahrstils berüchtigt, und so kommt es öfter vor, dass man als Fahrgast mit 100 km/h über die mit Schlagloch- und Kopfstein gepflasterten Straßen mit kühnen Ausweichmanövern geschüttelt und dabei mit dem Hupen anderer Fahrzeuge begleitet wird. Während ich mir wünsche fließend bulgarisch zu sprechen und den Fahrer anzuschreien anständig zu fahren, sitzen alle Bulgaren, die der Sprache mächtig sind, ängstlich in die Sitze geklammert und sagen nichts." Der Alltag ist also noch stark durch das Gefühl geprägt, beherrscht zu werden und abhängig zu sein; wenn auch nur unbewußt. Der Geist der Demokratie scheint erst dabei zu sein zu erwachen. Was in Westeuropa aus dem Humanismus hervorging, nämlich das Durchbrechen der mittelalterlichen Stände durch eine berufsungebundene staatliche Grundbildung in Schulen, hin zu einem durch persönliche Interessen (Individualität) und der Suche nach Erkenntnis geleiteten mannigfaltigsten Kreuzung von sozialen Kreisen (vgl. Simmel 1890), also die Bildung enger Kommunikationsnetzwerke, und somit Bildung von Eliten, über ideologische, nationale oder religiöse Einstellungen hinaus, prägte sich in der Renaissance weiter aus und entwickelte sich graduell durch komplexere nichtstaatliche Organisationsstrukturen im Rahmen der Demokratie bis heute und stellt im weiteren Sinne die Herrschaft durch das Volk dar. Auch die Aufkärung (Kant 1784), also der Wechsel von beherrscht werden zur Selbstherrschaft über sein eigenes Leben sind in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung. All dies ist in einem langwierigen Prozess gewachsen und viele dieser Strömungen sind noch heute im Alltag nachzuweisen und werden ständig reproduziert, ohne dass dies den meisten bewusst ist und wird. Es handelt sich also um ein Verhalten, dass sich in Form einer Mentalität niederschlägt. Ich werde im weiteren argumentieren, dass diese Ideen durch die starke Isolation Bulgariens fast ausschließlich in Teilen der neuen Generation leben und deshalb seine Auswirkungen, als ein Gesichtspunkt des demokratischen Systems, in Bulgarien bisher nur schwach ausgeprägt sind und dies als ein Erklärungsansatz benutzen, warum sich in Bulgarien bisher keine konsolidierte Demokratie bilden konnte. Eliten Zur Beschreibung der Eliten in diesem Kapitel beziehe ich mich auf Higley, Pakulski und Wesolowski (1998b: 1-6). Als Elite bezeichnet man mehrere tausend Personen in einem Land, die die strategischen Positionen in großen oder einflussreichen Organisationen und Bewegungen innehalten und so direkt und regelmäßig die politischen Entscheidungsträger beeinflussen. In osteuropäischen Ländern haben Eliten eine entscheidende Rolle, denn sie spielen nach wie vor der Wende eine wichtige Rolle in der Politik. Andere Einflüsse entstehen durch die Öffentlichkeit, die sozialen Klassen und durch zivile Gemeinschaften, auf die ich im weiteren Verlauf der Arbeit eingehen werde. Die Änderung der Elitenkonstellation bewegt sich in zwei Richtungen: in einer strukturellen und einer wertebasierten: 1.Strukturell ändert sich die zentralistisch, hierar-chische Machtverteilung im kommunistischen System hin zu einem eng geknüpften differenzierten Elitennetzwerk innerhalb und zwischen gesellschaftlicher Systeme7. Die Prägung der Machtverteilung durch die Nomenklatur und das Politbüro an der Spitze der Machtpyramide werden durch autonomere und konkurrierende Eliten ersetzt. Diese Netzstruktur ist strukturell dynamischer: die Macht einzelner Personen kann sich ändern, es können jederzeit neue Machtknoten erwachsen, während eine hierarchische Struktur statisch ist und Machtzuwachs reglementiert. 2.Was die Werte betrifft findet eine Veränderung von der ideologisch geprägten Einheit durch die kommunistische Partei hin zu einer offenen Gesellschaft mit institutionellen und ethnonationalen Konflikten in einem politischen Wettbewerb im Rahmen des demokratischen Staates statt. Kontinuitäten und Diskontinuitäten Weiter lassen sich nach Zusammenbruch des Kommunismus bei den Eliten folgende Kontinuitäten und Diskontinuitäten beobachten: Was bleibt: Politik bleibt stark durch die Elite geprägt, die Nomenklatur und ihr Machtnetzwerk überleben, Prominenz der kommunistischen Partei (später im Mantel der Sozialdemokratie) besteht, Rolle der Intelligenz als selbstbewusste politische Klasse aus der die Elite erwächst. Was sich ändert: Einführung von freien, geheimen Wahlen, Auftreten von Massenprotesten z.B. in Form von Streiks, offene Diskussion über Konstitution und die Beziehung zwischen Staat und Institutionen, Bildung von kriminellen und korrupten Allianzen (Mafia). Szenarien Es ergeben sich drei Szenarien zur Entwicklung von Eliten auf Grundlage der Art der Eliten und ihrer Interaktionen, die meist vermischt auftreten. Szenario I: Kommunikation zwischen demokratischen (wollen Macht) und totalitären Foren (haben Macht) nehmen Ausmaß in bitteren unkontrollierten Machtkämpfen. Szenario II: Die Konkurrenz der Eliten findet friedlich und im legalen Rahmen statt: graduell erwächst Stabilität. Szenario III: Machtübernahme durch ultranationalistische Gruppierungen vermeidet eine demokratische Elitenstruktur. Eliten lassen sich an Hand von vielen Kennzeichen charakterisieren und ihre Einigkeit und ihr Grad der Differenzierung beeinflussen die Stabilität politischer Regime. Bewertung Zur Analyse, Bewertung und Einordnung von Eliten werden folgende Dimensionen von den Autoren vorgeschlagen: Einigkeit und Differenziertheit. Einigkeit bezieht sich hierbei auf den Konsens verschie-dener Gruppen innerhalb der Elite. Dabei muss unter-schieden werden, ob die Einigkeit norma-tiv, also durch ge-meinsam vorherr-schende ideolo-gische, religiöse oder ethnische Über-zeugungen, zustan-dekommt oder inter-aktiv durch verschie-dene Parteien, die zu einem Konsens kommen. Ausprägungen auf dieser Achse kommen relativ kurzfristig durch Staatsgründungen, politische Krisen oder Revolutionen zustande. Eliten sind differenziert, wenn sie unabhängig und eigenständig agieren können. Diese Eigenständigkeit lässt sich horizontal und vertikal unterteilen. Horizontal meint dann gegenseitige Unabhängigkeit und Autonomie von Gruppen innerhalb von Eliten, während vertikal eine relative Unabhängigkeit von der Masse beschreibt. Die Ausprägung auf dieser Achse sind ein langwieriger Prozess, der durch die Industrialisierung oder politische Modernisierung entsteht (so die Autoren, die leider nicht diese Zusammenhänge genauer beschreiben). Ist es nicht vielmehr so, dass Differenzierung und Industrialisierung parallel auftreten können, sich jedoch nicht gegenseitig als Ursache haben? Wie könnte man anders erklären, dass viele industrialisierte Staaten keine differenzierte Elite haben? Anhand dieser Dimensionen lassen sich nun Regime charakterisieren: (a)Eliten, die in beiden Dimensionen starke Ausprägungen vorweisen können finden sich in stabilen Demokratien. (b)Sind viele um die Macht konkurrierende elitäre Gruppen vorhanden, die jedoch nicht zu einem Konsens kommen, so handelt es sich um instabile Demokratien. (c)Herrscht eine Einigkeit auf normativer Basis ohne verschiedene konkurrierende Meinungen in Form von konkurrierenden Eliten, so handelt es sich um ein totalitäres Regime. (d)Fehlt zusätzlich die Einigkeit, handelt es sich um ein autoritäres Regime. Während Eliten in westeuropäischen Demokratien meist erst differenzierter wurden und sich dann nach und nach eine Einigkeit zwischen diesen Gruppen eingestellt hat, findet der Prozess in Osteuropa in die andere Richtung statt: Eine Einigkeit ist erst durch das kommunistische System, dann durch einen gemeinsamen Reformwillen gegeben, die autonomen konkurrierenden Gruppen innerhalb der Eliten müssen sich jedoch erst noch herausbilden. Osteuropa im Umbruch Die Änderungen der Elitenkonstellation in den Ländern Osteuropas lassen sich in drei Gruppen teilen: In Ungarn und Polen fand ein Wechsel zu Konsensdemokratien statt, in Bulgarien und er Slowakei entstanden fragmentierte Eliten oder Quasieliten, während in Rumänien und der Ukraine geteilte Eliten aus dem Systemwechsel hervorgingen (vgl. Higley, Pakulski und Wesolowski 1998b: 6-21). Ungarn, Polen und die tschechische Republik In allen drei Ländern fanden schon frühzeitig antikommunistische Proteste statt. Hervorzuheben sei dabei Ungarns blutig niedergeschlagene Revolution 1956 und der Prager Frühling 1968 in der damaligen Tschechoslowakei. Diese Ereignisse zeigen eine stark verbreitete systemkritische Einstellung und legen schon früh die Grundsteine für eine neue Elite, die sich graduell im Hintergrund entwickelt und einen relativ schnellen und problemlosen Übergang zu einer stabilen Demokratie ermöglichen. In Ungarn lassen sich dabei drei Phasen unterscheiden, die die tiefgreifende und graduelle Entwicklung der Eliten skizzieren: 1.1960: klassische kommunistische Elite, 2.1970: Aufkommen einer neuen, reformorientierten, technokratischen Elite, 3.1980: Entwicklung der neuen postkommunistischen Elite. Aus den rasch nach der Wende eingeleiteten Wahlen entsteht ein breites politisches Bündnis, basierend auf Konsens. Die stark rechten und stark linken Parteien erhalten nur wenig Zufluss, die Zahl der Exkommunisten ist über die verschiedenen Parteien gleichmäßig verteilt. Weiter zeichnen sich die Eliten durch eine hohe Kontinuität z.B. in den Topwirtschaftspositionen und durch einen hohen Bildungsgrad aus. Durch geheime Verhandlungen zwischen den kommunistischen Eliten und der Solidaritätsbewegung 1988 und 1989 entstand in Polen eine Elitengründung. An den Gesprächen am runden Tisch vereinbarten dann beide Parteien den historischen Kompromiss: den Wunsch nach Demokratie, Pluralismus, konstitutioneller Reform und freien Wahlen. Dies war der Grundstein für den Konsens der Eliten und ermöglichte Schrittweise die Ansteuerung von strategischen Zielen, wie die Einführung der Marktwirtschaft oder den EU-Beitritt. Dabei entstand ein schneller politischer Umschwung der sich durch eine Vielzahl von legislativen und institutionellen Änderungen zeigte. Bevor die Wahl stattfand wurden der kommunistischen Partei (Sejm) die Mehrheit der Sitze und somit eine leitende Rolle in der Regierung zugesichert. Als dann aber die Solidaritätsbewegung alle bis auf einen der 161 Sitze gewann und auch im Senat die absolute Mehrheit erhielt, wurden, um die militärische Sicherheit (zu der Zeit noch gebunden an die Sowjetunion) zu gewährleisten, die Sitze von der Solidaritätsbewegung abgetreten und durch die Sejm ein Präsident gestellt. Als Gegenleistung stand die Zusicherung, Gesetze für einen liberaleren Staat nicht zu blockieren. Da der sowjetische Einfluss nachließ, gab es keinen Grund mehr diese Zugeständnisse an die Kommunisten aufrecht zu erhalten und Polen wurde endgültig autonom. Aus den Wahlen im November 1990 ging Lech Walesa als Präsident hervor. Darauf folgte eine Zeit mit vielen neuen kleinen Parteien und das Fragmentieren der Solidaritätsbewegung. Eine 5%-Hürde für Parteien wurde eingeführt. Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation ermöglichte dem pro-demokratischen und reformorientierten Nachfolger der kommunistischen Partei als Sieger aus den Wahlen 1993 hervorzugehen. Wichtig im Fall Polen ist der elitenübergreifende Konsens Reformen einzuleiten und gleichzeitig die Autonomie und Konkurrenz der elitären Gruppen - so lässt sich Polen heute als konsolidierte Demokratie bezeichnen. Als in der Tschechoslowakei der Versuch unternommen wurde einen "Sozialismus mit menschlichem Gesicht" zu schaffen, wurde dieser durch den Einmarsch der sowjetischen Truppen zunichte gemacht, die aufkommenden pluralistischen Eliten isoliert und durch ein moskaufreundliches Hardlinerregim ersetzt. Es konnte sich also nicht wie in Ungarn eine neue Elite entwickeln. Stattdessen musste das Land mit einem festgefahrenen Regime, das weder totalitärer noch liberaler wurde, auskommen. Erst durch die Signale von Gorbatschow entstanden Proteste und 1989 fiel die kommunistische Partei zusammen und binnen kurzer Zeit fand der Regimewechsel statt: Durch die sogenannte Samtrevolution, angeführt durch Gruppen wie dem Zivilen Forum oder dem Bündnis Öffentlichkeit gegen Gewalt statt, findet der Übergang statt. Diese Gruppen gehen dann auch während der ersten freien Wahlen 1990 als Sieger hervor. Dieser Zustand des Konsens hielt nicht lange an und Nationalisten, die für eine Unabhängigkeit der heutigen Slowakei eintraten, bekamen 1992 die Mehrheit; die Slowakei spaltete sich ab. Dies hatte für die tschechische Elite zur Folge, dass die nationalistischen Spannungen gelöst wurden und sich schnell - im Gegensatz zu Polen - wirtschaftliche Reformen einleiten ließen. Bulgarien und Slowakei In Bulgarien als auch in der Slowakei nutzte die alte kommunistische Elite ihren organisatorischen Vorteil aus und lenkte ethnopolitisch von den dringend bevorstehenden Reformen zu mehr Demokratie ab. Zwar wurde die ideokratische Elitenkonstellation abgelöst, doch hat sich noch keine neue differenzierte Elite herausgebildet. Während in Bulgarien Ende 1989 das kommunistische Regime sein Ende bevorstehen sah, wurde schnell der damalige Parteichef Todor Zhivkov abgesetzt, die kommunistische Partei in sozialisitische umgenannt und der frühere Außenminister Petur Mladenov leitete die Fraktion zum Zugeständnis zu Demokratie und ökonomischer Reform. Die Gepräche am runden Tisch fielen sehr mager aus, da die relativ vereinigten sozialistischen Vertreter eine Machtübergabe an die dünne und schlecht organisierte Opposition ablehnten. Im weiteren wurde die Opposition von der Macht ausgeschlossen, doch der Schein einer demokratischen Regierung gewahrt. Im Vergleich zu Ungarn, Polen und Rumänien handelte es sich also um eine völlig andere Konfigurationen der Eliten, denn anders als z.B. in Ungarn fanden vor 1989 in Bulgarien nur sehr beschränkt Umstrukturierungen der Eliten statt. Das führte dazu, dass im Vergleich zu Tschechien oder Polen die Umstrukturierungen 1989/90 nur sehr gering ausfielen. Während man sich in anderen Ländern eindeutig gegen die Russen stellen konnte, erinnerte man sich in Bulgarien an die Russen als Befreier vom türkischen Joch. Aus diesem nationalistischen Interesse heraus wurden die demokratischen Reformvorschläge der Partei der türkischen Minderheit blockiert. Während in der Slowakei einen Grauzone aus Politikern mit engen Verbindungen zum kommunistischen Apparat herrschte, kehrte man in Bulgarien durch die Wahlen 1994 deutlich zu der Exnomenklatur zurück. Auch in der Slowakei wurden Reformen durch nationalistische Interessen blockiert und die klare Teilung zwischen dem alten kommunistischen Regime und den neuen demokratischen Kräften fiel nicht so prägnant aus: Viele Exkommunisten niedrigerer Positionen schlossen sich den Reformern an. Anstatt zügig den Übergang zur Demokratie einzuleiten, stellte man wie in Jugoslawien nationale Interessen in den Vordergrund und distanzierte sich zwar so von den Kommunisten jedoch auch von den Reformern. Auch hier behielten viele Kommunisten die Fäden in der Hand und hielten als Exkommunisten viele wichtige Regierungspositionen inne. Im März 1994 verlor das Parlament sein Vertrauen in die Regierung und eine breite Koalition aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und Liberalen folgte und leitete Reformen zur Unabhängigkeit der Medien und zur Privatisierung ein. Rumänien und die Ukraine Durch die strenge Herrschaft von Nicolae Ceauçesu von 1965 bis 1989 entstanden weder reformorientierte Gruppen innerhalb der kommunistischen Partei, noch wurden die Grundsteine für eine Opposition gelegt. Als er Ende 1989 durch eine Militäreinheit erschossen wurde, bildeten Militärchefs und Leiter der Sicherheitspolizei eine Einigung, so dass die moderneren Kommunisten Ion Iliescu und Virgil Mageraneu eine Übergangsregierung bilden konnten. In den Wahlen der folgenden Jahre bildeten sich viele verfeindete kleine Oppositionsgruppen bis schließlich die nationalistische Partei 1996 die Mehrheit erhielt und Iliescu und Mageraneu ablöste. Unter diesen Bedingungen spitzen sich die ethnische Spannungen zu: die ungarische Minderheit wird weiter von den Entscheidungsprozessen ausgeschlossen, Extremisten haben weiter freie Hand. Die internen Sicherheitskräfte wurden enorm verstärkt, marktwirtschaftliche Reformen fanden nur in sehr eingeschränktem Maße statt, der alte hierarchische Machtapparat konnte überleben und die Opposition wurden gespaltet. In der Ukraine war die nationale Elite von Anfang an durch die Vielzahl von ethnischen Gruppen und unterschiedlichen Konfessionen geteilt. Auch hier wurde durch Gorbatschows Reformen eine demokratische Bewegung (Rukh) ausgelöst, die für kurze Zeit die antikommunistischen Kräfte vereinte. Die Unabhängigkeitserklärung 1991 entstand nach heftigen Diskussionen zwischen Nationalisten und Befürwortern einer russischen Republik. Nachdem die Sowjetunion zur gleichen Zeit zusammenbrach erhielten jedoch die alten kommunistischen Führer in der Ukraine ihre Macht, indem sie für die Unabhängigkeit der Ukraine stimmten. Dies führte zu außerordentlich langsamen politischen und ökonomischen Reformen. Auf diese Weise überlebte hier die Nomenklatur. Korruption und kriminelle Machenschaften der Führung waren an der Tagesordnung. Erst Ende 1996 wurde durch die Leiter militärisch-industrieller staatlicher Kooperationen, die als Hauptarbeitgeber im industrialisierten Osten der Ukraine zählen, die erzwungene enge wirtschaftliche Bindung zu Russland gelockert. Die nationalistischen Strömungen, die eine stärkere Unabhängigkeit von Russland forderten, führten zu einer Spaltung der Eliten und zu dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Die freien Wahlen die erst 1994 gehalten wurden, spiegelten die ethnische Spaltung zwischen dem Westen mit ukrainischer Sprache und dem Osten mit russischer Sprache wider. Es folgten der Konflikt um die Kuchmaregion und bittere Machtkämpfe, die die Reformversuche im Keim erstickten und nicht einmal den Anschein eines reformorientierten demokratischen Konsens der Eliten hervorbrachten. Die Forderung demokratische Institutionen durch ein starkes nationalistisches Regime zu ersetzten sind häufig zu hören. Zusammengefasst fanden also in beiden Ländern nur Elitenveränderungen in eingeschränktem Maße statt und die "reformorientierten Kommunisten" sind an der Macht und vermeiden weitgreifende Veränderungen Richtung Demokratie. Oppositionen existieren, doch sie agieren weder gemeinsam, noch sind sie weit differenziert. Bulgarien Entwicklung der Elite im Rückblick Niklov (1998) geht in seinem Aufsatz der Frage nach, warum sich in Bulgarien nicht wie in anderen Ländern eine demokratische Elite gebildet hat und greift dabei auf geschichtliche Gründe zurück. Viele ergeben sich aus der Tatsache, dass Bulgarien "Moskaus engster Verbündeter" war, was sich durch wenig Autonomie und eine starke Isolation zum Westen gezeigt hat und dazu führte, dass 1989 nicht einmal die Ansätze einer Opposition vorhanden waren, die Macht vom alten Regime hätte übernehmen können. Die Isolation zeigte sich dadurch, dass z.B. nur wenige ausgewählte Bücher mit westlichem Gedankengut in Bulgarien erlaubt waren, Westfernsehen im Gegensatz zur DDR nicht empfangbar und es nur sehr wenig Austauschprogramme im größeren Rahmen gab. Hinzu kommt die geografische Isolation durch die Lage Bulgariens an der Peripherie Europas. Stattdessen sorgte die Propaganda dafür, dass ein verzerrtes und völlig simplifiziertes Bild der westlichen Welt und ihres Kapitalismus verbreitet wurde. Machtübernahme durch die Kommunisten Neben zwei angloamerikanischen Luftangriffen auf die bulgarische Hauptstadt, blieben Bulgarien größere Verluste im 2. Weltkrieg erspart. Danach folgte die sowjetische Besetzung eingeleitet durch einen Militärputsch und die Einnahme der Machtzentralen des Landes. Bei einem nächtlichen Massaker wurden alle Mitglieder der Regierung und des Parlaments zwischen 1940 und 1943 ermordet, obwohl sich diese vorher gegen die deutschen Gesetze zur Auslieferung der jüdischen Bevölkerung in Bulgarien gestellt hatten und so zirka 70000 Juden vor dem Holocaust gerettet hatten. Viele andere Mitglieder der damaligen Elite wurden von spontan eingesetzten Richtern zum Tode verurteilt oder in Konzentrationslager8 eingeliefert, und dort systematisch moralisch zermürbt und gefoltert. Viele verloren dort ihr Leben. Das auf diese Weise entstandene Führungskräftevakuum wurde durch ehemalige kommunistische Guerillakämpfer, die eine einjährige Ausbildung erhielten, ausgefüllt. Auf diese Weise galt die Loyalität zur Partei und nicht die Ausbildung oder Persönlichkeit als ausschlaggebendes Kriterium für Führungspositionen. Die alte Elite wurde also ermordet oder durch nahe zur Partei stehende Mitglieder ersetzt. Dazu wurde die Nomenklatur eingesetzt: Das Politbüro bestimmte, wer als Kanidat für welche Stellen in Frage kam und wer in der streng hierarchisch organisierten Machtstruktur auf- oder abstieg. Auslandsreisen, Zugang zu höherer Bildung oder Promotion waren nur innerhalb der Nomenklatur möglich und so waren alle Chancen für die Entwicklung neuer außerkommunistischer Eliten verbaut; stattdessen reproduzierte sich die Elite durch die Nomenklatur. Selbst 1989 waren die schlecht gebildeten dogmatischen Führer der 40er Jahre noch in Führungspositionen. Ihre Familien genossen die Privilegien der Bildung. So entstand die zweite kommunistischen Generation mit der Aufgabe den "Sozialismus zu verwirklichen". Um an die Macht zu gelangen, brauchten sie trotzdem die Hilfe der vorherigen Generation. Formation der neuen Elite Nachdem durch Gorbatschow das Ende der UdSSR und die Absetzung des damaligen bulgarischen Machthabers Zhivkov beschlossen wurde, fanden sogenannte Gespräche am runden Tisch statt. Die Schwierigkeit in Bulgarien bei diesem Gespräch bestand darin, dass Mitglieder der nichtexistenten Opposition gefunden werden mussten. Manches deutet darauf hin, dass die kurz zuvor gegründete Union der demokratischer Kräfte (UDF) durch die ehemalige Staatssicherheit organisiert worden ist. Ist sie der Versuch gewesen der alten kommunistischen Partei ein neues freundliches Image zu legitimieren? Diese Partei verzichtete bei den Gesprächen auf einen Machtanspruch, einige Mitglieder liefen sogar am gleichen Abend zur kommunistischen Partei über. Das Problem bestand darin, dass die alte durch die Nomenklatur erwachsene Elite noch immer die Macht hatte. Andrey Lukanov, der Jahre vor der Wende von westlichen Spitzeln als Nachfolger des Shivkov Regimes gehandelt wurde, gewann an der Spitze der nun sozialistischen Partei die ersten freien Wahlen nach 60 Jahren in Bulgarien. Eine Mehrheit der Beobachter dieser postkommunistischen Gespräche am runden Tisch beschreibt einen Deal zur friedlichen Machtübergabe: Tausch von wirtschaftlichem Kapital gegen politisches Kapital. Ein solcher Handel sollte mit der UDF stattfinden, doch diese war noch zu schwach, um eine Gegenleistung zu bringen. Die UDF sprach nach der Wahl von Wahlbetrug. Im Oktober und November 1990 kam es in Sofia zu Massenprotesten, ein "Zelt der Wahrheit" wurde errichtet, Streiks, ein Boykott von 39 nichtsozialistischen Parlamentsmitgliedern, sowie ein Hungerstreik zur sofortigen Umsetzung einer neuen Konstitution zwangen die Lukanov Regierung im Dezember 1990 zum Rücktritt. Danach wird von unabhängiger Seite ein Parlament aus reformorientierten Sozialisten und erfahreneren Mitgliedern der UDF zusammengestellt. Doch auch diese Chance einen Wandel einzuleiten wurde nicht genutzt, da sich jeder in einem "ideologischen Gefängnis" sitzen sah: Symbole aus kommunistischer Zeit wurden zerstört, konstruktive Politik fand nicht statt. Die Asymmetrie der Machtverhältnisse bleibt also bestehen: Eine Studie von 1990 belegt, dass fast 60% der Spitzen in der Wirtschaft der sozialistischen Partei angehören, 20% ihr angehörten und nur unter 2% einer nichtsozialistischen Partei angehören. Nikolov kommt also zu dem Schluss, dass es sich im Falle Bulgariens um eine Quasielite handele. Sie ist dadurch strukturiert, dass Kommunisten aus der Nomenklatur die besten Startpositionen durch Beziehungen, Geld und Macht hatten und deshalb die neuen Reichen in Sofia wurden. Weiter lässt sich beobachten, dass die Eliten noch recht stark wechseln9 und Instabilität herrscht. Erziehung zur Unselbständigkeit Neben der bereits erwähnten räumlichen und medialen Isolation Bulgariens während des Sozialismus, herrschte eine Ordnung im Alltag, die so umfassend war, dass sie selbständiges Handeln und planen unnötig machte. Neben der durch den Staat vorgezeichneten Linie Schule - Ausbildung - Militärdienst - Beruf waren selbst die jährlichen Sommer- und Winterferien geplant. Der Arbeitsplatz war schlecht bezahlt und lebenslang garantiert; man konnte ihn nicht verlieren, wenn man ungefähr das machte, was von einem erwartet wurde. Im Sommerurlaub ging es dann gemeinsam in das Betriebsheim am Schwarzen Meer. Heute beschreibt man diese Relation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Betrügerverhältnis: Der Arbeitgeber betrügt den Arbeitnehmer durch schlechten Lohn, der Arbeitnehmer betrügt den Arbeitgeber durch schlechte Arbeit. Leider ist dieses Dilemma heute noch zu spüren und wird erst langsam durch die sich verbessernde wirtschaftliche Lage und die Marktwirtschaft abgelöst. Auch der Umgang mit Informationen war ein völlig anderer: Man wusste lediglich das was man wissen sollte, um seiner Aufgabe gerecht zu werden. Alles andere sollte man nicht wissen. Jede Art der Kritikäußerung war eine Infragestellung des Vorgesetzten, der hierarchischen Ordnung und letztenendes des Systems. Das alles führte zu einer stark ausgeprägten Passivität, mit der man am Besten überlebte. Alles was unbedingt nötig war, wurde von dem Staat organisiert, fast wie in einem Zoo, in dem die Tiere durch tägliches Füttern verlernen für sich selbst zu sorgen: Würde man sie in der Wildbahn aussetzen, überlebten sie nicht lange. Genau an dieser Stelle entsteht das Problem: Ein starker bemutternder kommunistischer Staat wird durch einen schwachen demokratischen Staat ersetzt und plötzlich müssen die Menschen selbst sehen, wie sie ihr täglich Brot verdienen und genug Geld für die Heizungskosten zusammenkriegen, um im Winter nicht in der eigenen Wohnung erfrieren zu müssen, wie es nach der Wende oft vorgekommen ist. Schlussfolgerungen Meiner Meinung nach zeigen sich viele Probleme bei der Konsolidierung der Demokratie in der Elitenkonstellation, doch dies scheint mir nicht als Erklärung zu reichen. Es ist vielmehr wie eine oberflächliche Betrachtung einer Gesellschaft in der tiefer liegende Prozesse sich nur teilweise in der Eliteebene widerspiegeln. Eliten sind ein Produkt der Gesellschaft. Herrschen in der Gesellschaft demokratische Auffassungen und Überzeugungen kann daraus eine Elite erwachsen, die den Kriterien einer stabilen Demokratie wie oben erläutert gerecht wird. Wenn ein Kennzeichen einer demokratischen Gesellschaft ein Vorhandensein von engen Kommunikationsnetzen über ideologische Gegensätze hinweg ist, dann herrscht ein Konsens. Zwangsläufig finden sich dann diese ausgeprägten Netzstrukturen auch in anderen Schichten der Gesellschaft wie der Elite. Während Higley, Pakulski und Wesolowski (1998b: 1-6) (siehe oben Eliten: Bewertung) den Differenzierungsprozess aus Industrialisierung und politischer Modernisierung erklären, könnte man dies auch aus dem Demokratisierungsprozess innerhalb der Gesellschaft sehen, der sich natürlich auch in der Elite zeigt. Auch in Bulgarien bildet die schwierige wirtschaftlichen Lage nicht gerade einen guten Nährboden für das Heranwachsen einer Mittelschicht und einer demokratischen Gesellschaft. Aber in den jüngeren Generationen findet ein immer stärkerer Austausch mit Westeuropa statt und viele Ideen werden so in das Land gebracht: Initiativen entstehen, Vereine werden gegründet, NGOs unterstützt und so manche Repräsentanten verkrusteter Strukturen und Ansichten werden plötzlich mit neuen Wegen konfrontiert. Diese neuen Strömungen (gefördert durch den Austausch mit dem Westen), die kulturell schon lange etabliert sind und sich z.B. im Theater, der Kunst, der Musik10 und im Film zeigen, erobern langsam auch andere Bereiche des täglichen Lebens. Als sehr wichtig sehe ich die internationale Kooperation mit der europäische Union, der Förderung vieler kleiner Projekte und Initiativen und die enge Zusammenarbeit mit internationalen NGOs, aber auch die wirtschaftliche Kooperation. Quellen Burton, Michael / Gunther, Richard / Higley, John 1992: Introduction: elite transformations and democratic regimes, in: Higley, John / Gunther, Richard (Hrsg.): Elites and Democratic Consolidation in Latin America and Southern Europe, Cambridge: Cambridge University Press: S. 1 -37. Higley, John / Gunther, Richard (Hrsg.) 1992: Elites and Democratic Consolidation in Latin America and Southern Europe, Cambridge: Cambridge University Press. Higley, John / Pakulski, Jan / Wesolowski, Wlodzimierz (Hrsg.) 1998a: Postcommunist elites and democracy in Eastern Europe, New York: St. Martin's Press. Higley, John / Pakulski, Jan / Wesolowski, Wlodzimierz (Hrsg.) 1998b: Introduction: Elite Change and Democratic Regimes in Eastern Europe, in: Higley, John / Pakulski, Jan / Wesolowski, Wlodzimierz (Hrsg.): Postcommunist elites and democracy in Eastern Europe, New York: St. Martin's Press, S. 1-33. Kant, Immanuel 1784: Was ist Aufklärung? Digitales Buch: www.digbib.org/Immanuel_Kant_1724/Was_ist_Aufklaerung. Nikolov, E. Stephan 1998: Bulgaria: A Quasi-Elite, in: Higley, John / Pakulski, Jan / Wesolowski, Wlodzimierz (Hrsg.): Postcommunist elites and democracy in Eastern Europe, New York: St. Martin's Press, S. 213-215. Simmel, Georg 1890: Über sociale Differenzierung. Digitales Buch: www.digbib.org/Georg_Simmel_1858/Ueber_sociale_Differenzierung, Kap.: Über die Kreuzung socialer Kreise. Villani, Noemi 2004: The role of political elites establishing and consolidating democracy in the case of Bulgaria in a comparative perspective, Sofia (unveröffentlicht).