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10. Bericht zum Entwicklungsdienst mit EDEJU (Juni 1999)

Neunter Bericht aus Namibia (10.6. bis 3.7.1999)

Einleitung

Jetzt liegen die Tatsachen auf dem Tisch. Mein Dienst wird nicht anerkannt. Er wird nicht auf den Zivildienst angerechnet. EDEJU ist verboten worden. Die EDEJU-kativen Taetigkeiten von jungen deutschen Ersatzdienstleistenden rund um den Globus laufen aus oder werden abgebrochen.

In was fuer einer Demokratie leben wir, in der sich die Regierung das Recht nimmt, selbstfinanzierte gute Taetigkeiten, zu verbieten? - Wie kann es angehen, dass man auf meine Briefe ans BMFSFJ (Bundesministerium fuer Familie, Senioren, Frauen und Jugend) nur teilweise und unbegruendet eingeht, und ich den Eindruck habe, dass sie meinen Argumenten ausweichen? - Mit welchem Recht werde ich von dem BMFSFJ wie ein verurteilter Straftaeter in kaltem paragraphendeutsch angeschrieben, wer schult den Ministerien einen angemessenen Umgangston mit den Buergern? - Wer kann die Verantwortung fuer eine solche Entscheidung tragen? - Wie kann es sein, dass ein Ministerium fuer Jugendliche sich gegen die Taetigkeiten fuer Kinder und Jugendliche in Namibia ausspricht?

Das sind nur ein paar Fragen, die ich mir stelle, die aber nicht beantwortet werden (und da wundern sich die Politiker ueber Politikverdrossenheit der Jugend). In jedem Fall lasse ich mich als muendiger Buerger nicht von solchen Urteilen beurteilen noch verurteilen (und schon das klingt grotesk: Verurteilung einer guten Tat?!), sondern mache weiter, denn ich bin ueber- zeugt, dass ich gute Arbeit leiste. Die namibischen und deutschen Medien haben durch Ihre Berichte ueber mich, sich ebenfalls positiv zu meinen Taetigkeiten geaeussert; auch offizielle Stellen wie die europaeische Botschaft oder der Ausschuss fuer politische Zusammenarbeit und Entwicklung kennen meine Taetigkeiten und erwaehnen sie lobend.

Es ist also voellig fassungslos, irrsinnig und unverstaendlich, wie eine Entscheidung gegen mich und dazu noch rueckwirkend zustande gekommen seien kann. Moeglicherweise mangelt es an Fachkenntnissen zu Entwicklungsarbeit bei den deutschen Ministerien. Sie scheinen die Situation in Afrika nicht einschaetzen, noch unseren unkonventionellen (Was ist Unkonventionell? - Alle Vorgehensweisen die in unserem Kulturkreis als ungewoehnlich gelten. Doch: Afrika und Europa haben eine voellig unterschiedliche Kultur und einen anderen wirtschaftlichen Entwicklungsgrad. So sollten logischer Weise auf Afrika angepasste Methoden fuer uns "unkonventionell" klingen.) Arbeitsweisen folgen zu koennen.

Bei diesem Bericht habe ich mir Muehe gegeben unsere "unkonventionellen" Arbeitsweisen zu erlaeutern und hoffe so den Missverstaendnissen, die es auch auf Seiten des BMFSFJ zu geben scheint, entgegenzuwirken.

In Hoffnung auf eine gerechte Behandlung,
Ingo Frost, EDEJU-Namibia

(1.a) Holzspielzeugprojekt I (Partner: Roessing Stiftung)

Durch die AIDS-Gruppe von der katholischen Kirche in Katutura habe ich versucht einen festen Kreis von Jugendlichen, die Holzspielzeug herstellen und verkaufen, aufzubauen, und sie gleichzeitig in die Arbeitsgruppe an der Roessing Stiftung zu integrieren. Leider hat das nicht geklappt, denn die neue Gruppe ist sehr nachlaessig geworden und hat mehr oder weniger aufgehoert, bevor sie richtig angefangen hat. Gleichzeitig kommt dazu, dass mehrere von der bisherigen Gruppe bei der Roessing Stiftung, die gerade einigermassen gelernt hatten mit der Laubsaege umzugehen, nicht mehr gekommen sind. Die beiden besten Jugendlichen, die ich bisher hatte, kommen auch nicht mehr, der eine hat einen festen Job gefunden, der andere ist aus Windhoek weggezogen.

Hintergruende:

Die Parole in Namibia ist "My future is my choice" (Meine Zukunft ist meine Wahl). Sie propagandiert die Freiheit, nach dem Motto "Jeder kann alles werden". Den Jugendlichen wird nicht gesagt, dass das nur geht, wenn man sich stufenweise hocharbeitet und dabei sein Bestes gibt, und genau das scheint bei den meisten zu fehlen. In dem Fall nuetzt die beste Hilfe- stellung nichts, da der eigene Antrieb, etwas zu erreichen, zu gering ist. Dieser Meinung ist auch der Leiter der katholischen Aidsgruppe Jacob Smith, der voll hinter meinem Projekt steht. Selbst (zahlfaehige) Abnehmer fuer das selbstproduzierte Holzspielzeug waeren genug da; mehrere katholische Kindergaerten haben schon Interesse angezeigt.

Wie kommt es, dass soviele Jugendliche nichts aus ihrem Leben machen und so ihre Chance und ihre Freiheit nicht nutzen?

Sie sind durch die Gesellschaft und das Erziehungssystem "verkommen", und beenden mit offenen Haenden und illusionaeren Berufswuenschen die Schule. Konstantes Arbeiten scheint nur mit der "Karotte" (die man einem Esel vor den Mund haengt, und nach der er immer wieder schnappt und dabei einen Schritt nach vorne gehen muss) zu funktionieren, die hier in Form von Zertifikaten eingesetzt wird. Man arbeitet (lernt) also nur fuer Zertifikate, und dass meistens nur, wenn man dafuer vorher selbst bezahlt hat, oder durch jemand anderen gezwungen wird. Hat man dann das Zertifikat, glaubt man das Fach zu beherrschen. Diese beliebte Art des Selbstbetruegens wird von Anfang an in die Koepfe gehaemmert, schon in der Zeit, in der das Zertifikat noch "Zeugnis" hiess.
Ich bestreite nicht, dass soetwas eine Aussagekraft hat, doch es zeigt eben nicht wie gut derjenige damit im praktischen Leben zurechtkommt. Dinge wie Selbstlernfaehigkeiten, Durchhaltevermoegen, Selbstkritik, Verantwortung und persoenliche Begabung fallen unter den Tisch. So geht es dann auf die Suche nach einen Beruf. Wunschvorstellung vieler Jugendlicher: Ein Job in einem gekuehlten Buero, wenig Arbeit, viel Geld.
In Deutschland, gibt es soetwas wie Hobbies, Spielen und Spielzeug. Dinge mit einem hohen Stellenwert, die einen grossen Teil der negativen Nebenwirkungen der Schule wett machen. In Afrika, z.B. hier in Namibia, gibt es Kindergaerten, die schon wie Schulen mit Schulklassen aufgebaut sind und kindliches Spielen systematisch durch Stillsitzen und Disziplin abloesen. Handwerkliche und Kreativitaet foerdernde Schulfaecher gibt es fast gar nicht, oder sie haben einen geringen Stellenwert (Uebrigens ist das so "gewollt", es handelt sich um Nachwirkungen der Apartheit und schlechter Entwicklungspolitik aus Europa: Namibias erste Generation der unabhaengigen Regierung hat beschlossen den schwarzen Menschen von den einfachen "niedrigen" Berufen zu befreien und sie durch ein sehr theoretisches und langwieriges Bildungssystem zu Anwaelten und Aerzten etc. zu machen, das britische Schulsystem bat sich dazu "ganz konventiell" an). Hobbies werden durch niemanden gefoerdert. Die eigentlichen Humanresourcen der Bevoelkerung liegen auf der Strasse und werden mit Fuessen getreten.

(1.b) Holzspielzeugprojekt II (Partner: Afterschool-center Khomasdal)

Vor circa 2 Monaten habe ich mein Projekt bei einem "Afterschool-Center" in Khomasdal vorgestellt. Es handelt sich um eine Art Jugendzentrum, dass diverse Aktivitaeten fuer Jugendliche anbietet, und auf diese Weise versucht die Faehigkeiten von Jugendlichen zu foerden und sie von der Strasse herunterzuholen. Es gibt hier ein Programm, dass dem EDEJU-kativen zumindest Ansatzweise zu aehneln scheint. Das Zentrum stellt einen Raum fuer einen Tischler bereit, der jungen Arbeitslosen zeigt wie man einfache Moebel herstellt, sodass die Arbeitslosen lernen auf eigene Faust Geld durch den informellen Sektor zu verdienen.

Erlaeuterungen:

Auf deutsch bedeutet informeller Sektor soviel wie "Schwarzarbeit", in Afrika bedeutet es "die einzige Chance die Wirtschaft aufzubauen": es gibt nur wenig Arbeitsplaetze, also muessen moeglichst viele Menschen versuchen, auf eigene Faust und unkompliziert ihr eigener Chef zu werden (eventuell kann man spaeter in den formellen Sektor ueberwechseln). Auch das klingt auf deutsch wieder sehr kompliziert, doch hier bedeutet es im Klartext: Ich stelle einfache Moebel her und gehe solange herum bis ich sie verkauft habe, also gar nicht so schwer! Nun will ich das gleiche auf der Basis von Holzspielzeug in diesem Zentrum versuchen. Inzwischen ist alles geregelt, naechste Woche fange ich an.

(2) Computerprojekte (Partner: NYC - Nationale Jugendversammlung)

Zusammen mit dieser Dachorganisation moechte ich Internet und Computerprojekte realisieren und habe dafuer zwei Projektvorschlaege ausgearbeitet und eingereicht. Auch bei dem Aufbau und der Realisierung der NYC-Homepage habe ich mitgeholfen. Manche moegen bei diesen Projekten nicht die Zusammenhaenge mit dem EDEJU-Konzept sehen, deshalb will ich sie kurz erlaeutern: Ein Ziel von EDEJU ist die Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit. Mit motivierten und interessierten Jugendlichen koennte man ein Homepageprojekt aufbauen, sodass sie lernen auf eigene Faust fuer kleine Unternehmen Homepages zu erstellen und so ihren eigenen Job schaffen. Ein weiteres Standbein von EDEJU ist die "Kultivierung und Foerderung des Selbstlernprozesses", und auch das wird deutlich in den Projekten sichtbar werden. Auch ich habe mir meine Computerkenntnisse zum groessten Teil selbst angeeignet. Alles laeuft also nach dem Grundsatz "Hilfe zur Selbsthilfe".

(3.a) Oeffentlichkeitsarbeit I - Aufmerksam machen auf unsere Aktivitaeten

Liste der Aktivitaeten dieses Monats

(3.b) Oeffentlichkeitsarbeit II - Aufklaerung: Was ist spielen?

Ich bin nicht gekommen, um mich ueber das Bildungssystem in Namibia zu beschweren, sondern um etwas zu verbessern. EDEJU hat die entsprechenden Werkzeuge und das Hintergrundwissen bereit gestellt. Ich habe mir vorgenommen einen direkten Kontakt zu Lehrern und Erziehern aufzubauen, und diesen Monat den ersten groesseren Schritt unternommen das Ganze in die Praxis umzusetzen, indem ich einen Vortrag ueber spielerisches Lernen und Fruehfoerderung ausgearbeitet habe, den ich zu der Fortbildungswoche der Arbeitsgemeinschaft deutscher Lehrer (AGdL) halten wollte. Leider wurde dieses Angebot von Seiten der AGdL abgelehnt.

(4) Anvisierte Projekte

Des weiteren sind 3 neue Projekte anvisiert und mit viel Muehe vorbereitet, die ich gerne noch waehrend meiner Zeit hier in Namibia umsetzen moechte.

(©) Ingo Frost (Veröffentlicht im Internet unter: http://members.aol.com/coolfrost/nam_lo10.htm, als Newsletter und in brieflicher Form)


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